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Unfairer Planungswettbewerb für die U4-Verlängerung auf den Grasbrook gestartet

Am 11.02.2022 hat die Hamburger Hochbahn AG den europaweiten „Planungswettbewerb U4 Grasbrook“ im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Mit dem Wettbewerb werden aus Sicht der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau regelwidrige und für die planenden Ingenieurinnen und Ingenieure unfaire Bedingungen formuliert.

Gegenstand des zweiphasigen Wettbewerbs ist die Planung einer ca. 1.000 m langen Weiterführung der U-Bahn-Linie U4 von der bestehenden Haltestelle Elbbrücken auf den Grasbrook. Diese Planungsaufgabe beinhaltet drei miteinander verbundene Projekte, den Neubau einer zweigleisigen Brücke über die Norderelbe, den Neubau einer ca. 370 m langen Rampen- und Viaduktstrecke und den Neubau einer Brücke über dem Moldauhafen.

Der Bekanntmachung dieses Wettbewerbs gingen seit dem März des vergangenen Jahres intensive Erörterungen voraus, zunächst nur zwischen der Hochbahn AG und der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau als der für Ingenieurwettbewerbe zuständigen Kammer und im Weiteren – aufgrund eines Schreibens der Ingenieurkammer an Herrn Senator Dr. Tjarks und an Frau Senatorin Dr. Stapelfeldt im August 2021 – auch unter Beteiligung der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende und der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, zuletzt in einer Videokonferenz Anfang Oktober 2021. Erst am 15.02.2022 nach Bekanntgabe des Verfahrens wurde die Ingenieurkammer per Mail von der Verkehrsbehörde informiert, dass der Wettbewerb nicht nach der sog. Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW) und ohne die Registrierung durch die Hamburgische Ingenieurkammer-Bau erfolge, weil man dazu als sogenannter Sektorenauftraggeber nicht verpflichtet sei.

Für die Hamburgische Ingenieurkammer-Bau steht außer Frage, dass bei einem derartigen Bauvorhaben wie die Verlängerung der U-4 auf den Grasbrook mit seiner herausragenden Bedeutung für den neuen Stadtteil und vor dem Hintergrund einer Integration der Ingenieurbauwerke in das für Hamburg hafentypisch prägende Umfeld ein Ingenieurwettbewerb durchzuführen ist, um im Sinne sowohl der Konstruktion als auch der Stadtgestaltung und Baukultur in Hamburg die bestmöglichen Lösungen zu finden, was nur im Rahmen eines solchen konkurrierenden Wettbewerbsverfahrens unter Beteiligung der besten Ingenieurinnen und Ingenieuren gelingen kann. Insofern hatte die Hamburgische Ingenieurkammer-Bau die betreffende Absicht der Hochbahn AG auch begrüßt.

Tatsächlich hätte aber aus Sicht der Kammer angesichts der jeweiligen Größenordnung und Besonderheiten für jedes der drei Projekte Brücke Norderelbe, Viaduktstrecke und Brücke Moldauhafen ein eigenes Wettbewerbsverfahren durchgeführt werden müssen. Die Zusammenfassung dieser drei Planungsthemen hat zu einem Umfang der Wettbewerbsaufgabe geführt, dem sich nur wenige Ingenieurbüros überhaupt stellen können. Darüber hinaus stellt die Auswahl der besten Gesamtlösung nicht unbedingt die Auswahl der besten Teillösungen dar, wodurch der eigentliche Sinn des Wettbewerbs bereits eingeschränkt ist. Angesichts der schwierigen weiteren Diskussionen haben aber die Vertreter der Ingenieurkammer den Willen der Hochbahn AG, nur einen Ingenieurwettbewerb für alle drei Projekte zusammen durchzuführen, zunächst toleriert.

Aber auch inhaltlich entspricht leider der jetzt bekannt gemachte Wettbewerb in zwei ganz wesentlichen Punkten in keiner Weise den unabdingbaren Voraussetzungen für einen zugunsten aller Beteiligten, also für die Ausloberin und die Teilnehmenden, ausgewogenen und fairen Wettbewerb. Im Verhältnis zu regelkonformen und üblichen Wettbewerben müssen die an dem U4-Wettbewerb teilnehmenden Ingenieurbüros signifikant zu viele Leistungen erbringen. Zumindest die letzten drei in der zweiten Phase des Wettbewerbs verbliebenen Ingenieurbüros sollen im Ergebnis eine komplette Vorplanung im Sinne der Leistungsphase 2 nach HOAI bewerkstelligt haben.

Bei einem Planungswettbewerb werden tatsächlich immer von allen beteiligten Planungsbüros Leistungen in erheblichem Maße im Sinne einer bestmöglichen Lösungsfindung erbracht, obwohl nur ein Büro im Anschluss den Auftrag bekommt. Um die betreffenden Belastungen für die teilnehmenden Büros nicht unzumutbar werden zu lassen, schreibt auch die o.a., in Hamburg 2015 eingeführte RPW ausdrücklich vor, dass die im Wettbewerb auszuführenden Leistungen auf das für die Lösung der Wettbewerbsaufgabe erforderliche Maß zu beschränken sind. Da dies beim U4-Ingenieurwettbewerb, einem wahrlich sehr, sehr großen und umfangreichen Projekt, nicht der Fall ist, würden die teilnehmenden Ingenieurbüros schon im Wettbewerb mit einem ganz erheblichen, im Verfahren durch die Bearbeitungsgebühr und einen eventuellen Preis nicht annähernd ausgeglichenen Aufwand kalkulieren müssen. Der genannte Leistungsumfang wäre, selbst nach der Berechnung der Hochbahn AG, bei direkter Einzelvergabe mit einem Honorar von deutlich über einer Million Euro zu vergüten. Dies bedeutet, dass der Arbeitsaufwand für die vollständige Bearbeitung der Wettbewerbsaufgabe zwischen 350 und 400 Arbeitswochen liegen und in den beiden Bearbeitungsphasen den Einsatz von ca. 15 Ingenieuren bzw. Architekten erfordern dürfte. Das nur ganz wenige Büros europaweit überhaupt in der Lage sind, eine derartige Akquisitionsleistung zu wagen, ist offensichtlich und dürfte sich ebenfalls deutlich auf die Suche nach dem besten Ergebnis für diese für Hamburg elementaren Ingenieurbauwerke auswirken.

Der zweite entscheidende Kritikpunkt ist, dass das zuvor beschriebene Kostendelta selbst für das im Anschluss an den Wettbewerb als Auftragnehmer auserkorene Ingenieurbüro in keiner Form ausgeglichen würde. Für einen Planungswettbewerb ist es aber prinzipiell unverzichtbar, dass zumindest das Planungsbüro, das den in Aussicht gestellten Planungsvertrag tatsächlich am Ende des gesamten Wettbewerbsverfahrens erhält, durch Art und Umfang des Planungsvertrages zumindest so gestellt wird, als ob es diesen auf direktem Wege ohne kostenintensive Vorleistungen im Rahmen eines Wettbewerbs bekommen hätte. Dementsprechend müssen laut RPW Art und Umfang der Beauftragung sicherstellen, dass die Qualität des Wettbewerbsentwurfs umgesetzt wird, weshalb sich der Auftrag in der Regel mindestens bis zur abgeschlossenen Ausführungsplanung erstreckt, also zumindest die Leistungen der Leistungsphasen zwei bis fünf nach HOAI zu übertragen sind. Demgegenüber ist im U4-Wettbewerbsverfahren lediglich „die Beauftragung der Objektplanung für Ingenieurbauwerke entsprechend den Leistungsphasen 3, 4 und 6 HOAI (vergl. §§ 43 HOAI) und der Tragwerksplanung für Ingenieurbauwerke entsprechend den Leistungsphasen 3 und 6 HOAI (vergl. § 51 HOAI) in zwei Stufen vorgesehen.“ Es würden hier also dem letztlich „siegreichen“ Büro durch die Nichtbeauftragung der nach den Wettbewerbsregeln vorgesehenen Leistungen, hier insbesondere der Vorplanung, die o.a. drastischen Wettbewerbsteilnahmekosten in gleicher Weise wie den anderen Ingenieurbüros ohne Äquivalent verbleiben. Dies müsste sich aller Wahrscheinlichkeit nicht nur – wie der viel zu hohe abgeforderte Leistungsumfang im Wettbewerb – auf die Bereitschaft zur Teilnahme am Verfahren und auf die Qualität der Wettbewerbsbeiträge auswirken, sondern aus betriebswirtschaftlichen Gründen auch auf die Qualität der Arbeiten im Vollzug des anschließend erteilten Planungsauftrages Einfluss haben.

Unabhängig von der rein juristischen und hier gar nicht zu vertiefenden Frage, ob die Hochbahn AG als sogenannter Sektorenauftraggeber zur Anwendung der o.a. in RPW 2015 formal verpflichtet ist oder nicht, muss aus Sicht der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau die Stadt Hamburg zwingend sicherstellen, dass für solche, die Stadt in gravierender Form prägende und sehr kostenintensive Projekte ein für alle Beteiligten fairer Planungswettbewerb stattfindet, was nur durch die Beachtung der RPW-Regeln gewährleistet werden kann.
Die Hamburgische Ingenieurkammer-Bau bedauert sehr, dass es nicht gelungen ist, die Hamburger Hochbahn AG trotz der erwähnten intensiven Gespräche von der Notwendigkeit eines gleichmäßig austarierten Verfahrens zu überzeugen. Dies hängt mutmaßlich mit den angenommenen Kosten, die durch die RPW-konformen Forderungen der Ingenieurkammer ausgelösten worden wären, zusammen, auch wenn sie angesichts des Gesamtinvestments für dieses Projekt eindeutig eine sehr vernachlässigbare Größenordnung aufweisen würden. Stattdessen soll die betreffende Kostenlast ausschließlich auf die am Wettbewerb teilnehmenden Ingenieurbüros und ganz besonders auf das zu beauftragende Büro übertragen werden. Damit würde aller Wahrscheinlichkeit nach die Güte des Wettbewerbsergebnisses und infolgedessen naturgemäß die Qualität des Gebauten stark beeinträchtigt, insgesamt der Sinn dieses unerlässlichen Ingenieurwettbewerbes, der mit viel Aufwand durchgeführt wird, konterkariert.

Deshalb hat der Präsident der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau, Dipl.-Ing. Peter Bahnsen, den Ersten Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Dr. Peter Tschentscher, in einem Brief vom 2. März d.J. eindringlich gebeten, sich bei der Hamburger Hochbahn AG noch einmal intensiv für eine Korrektur der Bedingungen des U4-Wettbewerbs im Sinne eines für alle Beteiligten ausgewogenen und fairen Verfahrens, also einen RPW-konformen Wettbewerb, einzusetzen. Zusätzlich hat der Kammerpräsident gefordert, dass kommende Ingenieurwettbewerbe in Hamburg zum Wohle der Stadt und aller Beteiligten immer und von allen, also auch von städtischen „Töchtern“, nach den anerkannten Regeln der RPW durchgeführt werden. Diese sollte durch eine Vereinbarung zwischen den relevanten Realisierungsträgern Hamburgs und der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau sichergestellt werden. Eine Antwort des Bürgermeisters steht zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieser DIB-Regionalausgabe noch aus.

Abschließend ist auf die grundsätzliche Berufspflicht unserer Mitglieder nach § 17 Abs. 2 Ziff. 3 des Hamburgischen Gesetzes über das Ingenieurwesen hinzuweisen, wonach sich die Mitglieder nur an Wettbewerben beteiligen, „wenn durch die Verfahrensbedingungen gemäß geltenden bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften ein lauterer Leistungsvergleich sichergestellt ist und in ausgewogener Weise den Belangen von Ausloberinnen oder Auslobern und Teilnehmerinnen oder Teilnehmern Rechnung getragen wird.“ Damit wird dem Beschluss des Ingenieurkammervorstandes nachgekommen, die Kammermitglieder eindringlich an diese Berufspflicht zu erinnern und sie zu bitten, intensiv zu prüfen, ob sie trotz der Art des Verfahrens, des unverhältnismäßigen und immensen Leistungsumfangs und des extrem reduzierten Auftragsversprechens eine Teilnahme riskieren wollen.

Die Hamburgische Ingenieurkammer-Bau wird sich auch in Zukunft mit aller Energie dafür einsetzen, dass bei wichtigen und stadtprägenden Ingenieurbauwerken ein Ingenieurwettbewerb stattfinden wird, weil nur auf diese Weise die für die Baukonstruktion und die Stadtgestaltung Hamburgs beste Lösung gefunden werden kann. Und diese Wettbewerbe müssen immer nach fairen Regeln, also nach RPW, durchgeführt werden.